Interview mit dem Iranisten Prof. Dr. Ludwig Paul über die Zaza-Sprache

Prof. Dr. Ludwig Paul unterrichtet derzeit als Iranist an der Universität Hamburg.

„Das Verhältnis von Sprache zu Ethnie ist sehr kompliziert. Die ethnische Zugehörigkeit richtet sich nicht nur nach Sprache, sondern auch nach Kultur, Religion, gemeinsame Geschichte, Herkunft, soziales Verhalten, soziale Faktoren, etc. sind Punkte, die hier eine wichtige Rolle spielen.“

 

 

Dr. Zeynep ARSLAN

Herr Prof. Dr. Paul, was ist die Stellung des Zazaki im Kreise der iranischen Sprachen?

Das Zazaki ist eine indogermanische Sprache. Die indogermanischen Sprachen unterteilen sich in viele Sprachgruppen, von denen die iranische eine ist. Innerhalb der iranischen Sprachen gehört das Zazaki zu den westiranischen Sprachen. Weitere westiranische Sprachen sind Persisch, Kurdisch, Balotschi, Taleshi, Gilaki und viele andere.

Wie kann man erweisen, ob das Zazaki eine eigenständige Sprache ist oder nicht? Wie wird die Sprachverwandtschaft gemessen und wie kann festgestellt werden, wie eng oder weit diese Verwandtschaft ist?

Es gibt viele Faktoren, die hier notwendig sind, um das sprachliche Verhältnis von zwei Sprachen zueinander zu messen. Ich werde mich auf ganz wenige konzentrieren. Für mich ist es wichtig, dass sprachwissenschaftlich methodisch sauber an die Sache herangegangen wird, um das Verhältnis von Persisch, Kurdisch und Zazaki messen zu können. Es gibt sehr viele Schriften, Aufsätze und Bücher zu diesem Thema und in der Regel machen die Autor_Innen, etwas, was linguistisch gesehen nicht ganz korrekt ist. Sie nehmen einzelne isolierte Merkmale, wie zum Beispiel einzelne Wörter und vergleichen damit die genannten Sprachen miteinander. Sie nehmen aus dem Zazaki zehn Wörter, aus dem Persischen zehn Wörter und aus dem Kurdischen zehn Wörter, und meinen damit, dass es sich hierbei um eine Sprache oder eine Dialekt, etc. handelt.

Dieser Punkt ist mir sehr wichtig, denn für Sprachenvergleich braucht es wissenschaftliche Methoden. Diese wissenschaftlichen Methoden können in der Regel nur durch ein Hochschulstudium erworben werden. Wer diese Voraussetzung nicht hat, kann keine kompetente Sprachverwandtschaftsanalyse durchführen.

Aus sprachwissenschaftlicher Sicht ist für Feststellung einer Sprachverwandtschaft zum einen die Analyse der regelmäßigen historischen Entwicklung der Lautgesetze von großer Relevanz. Nehmen wir zum Beispiel das Wort „ich weiß“. Im Zazaki heißt es „ez zana“, im Kurdischen „dizanim“ und im Persischen „mīdānam“. Wir haben hier im Zazaki und Kurdischen den „zan-“ im Stamm und im Persischen den „dān-“ im Stamm. Dieses Wort ist also wichtig für den Vergleich der Verwandtschaft dieser Sprachen, weil es auf einen indogermanischen Laut zurückgeht. Ein anderes Beispiel liefert das Wort „drei“. Im Persischen heißt drei „se“, im Kurdischen „sê“ und im Zazaki heißt das „hirê“. Dieses Wort ist also auch wichtig, weil es auch auf ein indogermanisches Wort zurückgeht, welches in allen drei Sprachen sich erhalten hat. An diesen beiden Worten „Wissen“ und „Drei“ kann man beispielhaft sehen, dass das Kurdische zwischen Persisch und Zazaki steht. Das Kurdische ist mit dem Persischen verwandt. Das Kurdische ist aber mit Zazaki mehr verwandt. Die Verwandtschaft zwischen Zazaki und Persisch ist wiederum keine so enge.

Zum anderen ist die Grammatik wichtig für die Feststellung einer Sprachverwandtschaft. Es müssen grammatikalische Kategorien, welche alt sind, miteinander verglichen werden, welche in der Sprache historisch verwurzelt sind. Wichtig ist es auch, dass zwischen historischen Gemeinsamkeiten und die gemeinsamen Neuerungen unterschieden werden. Konkret ist hier zu fragen, ob die Gemeinsamkeit auf die alte Zeit zurückgeht oder ob sich diese Gemeinsamkeit in neuerer Zeit gebildet hat. Diese Fragen können in der Regel nur dann eruiert werden, wenn man nicht nur die heutigen iranischen Sprachen kennt, sondern auch über die alten iranischen Sprachen, Mittelpersisch, Parthisch und Awestisch kundig ist.

Das bedeutet, dass es wichtig ist, dass man die richtige Methode anwenden muss, um Sprachen miteinander vergleichen zu können und dies ist eine sehr komplizierte Sache. Wenn man diese methodischen Voraussetzungen nicht erfüllt, dann bleibt ein Sprachvergleich präwissenschaftlich und man kann nur von Ähnlichkeiten sprechen. Von Ähnlichkeiten von Sprachen kann jeder sprechen. Das ist einfach, aber wenn man aus linguistischer Sicht von Sprachverwandtschaft sprechen möchte, muss man die methodischen wissenschaftlichen Voraussetzungen mitbringen.

Herr Prof. Dr. Paul, können Sie zum Verhältnis zwischen Zazaki und dem Kurdischen mehr erzählen?

Zazaki, Kurdisch und Persisch und andere Sprachen wie Balotschi und Taleshi sind iranische Sprachen und haben sich vor langer Zeit von einer gemeinsamen Ursprache entwickelt. Man kann nur eine ungefähre Annahme wagen und sagen, dass vor etwa drei bis viertausend Jahren sich diese westiranischen Sprachen voneinander getrennt haben. Hier sind das Indoiranische, das Iranische, das Westiranische und das Ostiranische markant. Westiranisch gliedert sich in drei Strömungen, nämlich Alt-, Mittel- und Neuiranisch. Unter den neuiranischen Sprachen sind Persisch, Kurdisch, Balotschi und Zazaki, etc. zu unterscheiden.

Im Beispiel „zan“-, „dān“, „se“, „sê“ und „hirê“, sieht man, dass das Kurdisch, Persisch und das Zazaki miteinander verwandt sind. Man sieht auch, dass das Persisch mit Kurdisch und Kurdisch mit Zazaki enger verwandt ist. Es gibt manches, was Kurdisch und Zazaki gemeinsam haben und manches, was Persisch und Kurdisch gemeinsam, und manches, was alle drei Sprachen gemeinsam haben. Hier muss methodisch unterschieden werden, zwischen gemeinsam ererbten Dingen und gemeinsam erneuerten Dingen. Für die Sprachwissenschaft und für die Dialektologie ist dieser Punkt ganz wichtig. Dass diese drei Sprachen eine gemeinsame ererbte Lautentwicklung haben, habe ich mit zwei Beispielen nämlich das Wort „Wissen“ und das Wort „Drei“ erläutert. Allerdings sind die Präsensbildungen in allen drei Sprachen unterschiedlich. Im Persischen heißt das „mībaram“ „ich trage, bringe“, im Kurdischen „ez dibim“ und im Zazaki heißt das „ez bena“. An diesem Beispiel kann man sehen, dass die Sprachen sich auseinanderentwickelt haben. Allerdings muss ich hinzufügen, dass das ganz neue Entwicklungen sind, nämlich in etwa 1000 oder 1500 Jahre alte. Das heißt, sie sagen nicht viel über die alte Sprachverwandtschaft aus.

Vom Westiranischen haben sich das Persische, das Kurdische, Balotschi, das Zazaki und noch andere Sprachen getrennt. Wichtig hier zu wissen ist, dass über die genauen Verwandtschaftsverhältnisse im Westiranischen nicht viel näher gesagt werden kann, als dass sich alle Sprachen sehr früh voneinander getrennt haben. Es gab sicher Sprachen, welche noch enger in Kontakt zueinander standen, wie zum Beispiel das Proto-Zazaki zu Proto-Parthisch und das Proto-Balotschi zu Proto-Kurdisch. Das Kurdische und das Zazaki haben sich wahrscheinlich vor relativ langer Zeit voneinander getrennt. Ansetzen kann man dieses Ereignis vor etwa tausend Jahren. Interessant ist, dass das Zazaki wiederum näher an Kurmanci liegt. Das heißt wohl, dass in älterer Zeit sich diese beiden Sprachen voneinander getrennt und in neuerer Zeit wieder zueinander näher gerückt sind. Diese Sprachen stehen auch geographisch im engeren Kontakt zueinander. Heutzutage ist das Zazaki dem Kurmanci relativ ähnlich und Kurmanci dem Sorani und das Sorani ist wiederum dem Persischen sehr ähnlich. Vor tausend Jahren war das anders, denn da war das Proto-Zazaki weit entfernt vom Kurdischen.

Mit welchen Methoden können Sie diese Aussagen wissenschaftlich festlegen?

Das Altpersische ist mit Abstand die älteste bezeugte westiranische Sprache. Wir haben leider weder vom Kurdischen noch vom Balotschi noch vom Zazaki Texte. Es gibt keine Texte vor dem 16. Jahrhundert. Aus diesem Grund können wir über die Verwandtschaft nicht sehr viel sagen. Das Kurdische, Balotschi und Zazaki haben wir nur aus neuester Zeit. Um die Verwandtschaftsverhältnisse beurteilen zu können, muss man unbedingt Mittelpersisch und Altpersisch beherrschen. Ohne die Kenntnis über diese Sprachen ist es unmöglich, eine wissenschaftlich fundierte Vergleichsstudie zu leisten.

Herr Prof. Dr. Paul, Sie wissen, dass die Diskussion rund um das Zazaki nicht unabhängig von der Frage der ethnischen Zugehörigkeit sich bewegt. Welche Standpunkte haben Sie zur Frage bezüglich des Verhältnisses Sprache und Ethnie?

Das Verhältnis von Sprache zu Ethnie ist sehr kompliziert. Die ethnische Zugehörigkeit richtet sich nicht nur nach Sprache, sondern auch nach Kultur, Religion, gemeinsame Geschichte, Herkunft, soziales Verhalten, soziale Faktoren, etc. Das sind Punkte, die hier eine wichtige Rolle spielen. Es ist wichtig zu sehen, dass Kurden und Zazas sehr viele Gemeinsamkeiten haben, obwohl sie separate Sprachen sind. Viele Zazas können Kurdisch und es ist auch eine Realität, dass Zazaki in vielen Gebieten, wo es gesprochen wird zusammen mit Kurdisch gesprochen wird. Es gibt eine enge Verbindung.

Auch wenn das Zazaki rein linguistisch gesehen eine eigene Sprache ist, so muss man die Frage „inwiefern sie Kurden sind oder nicht„ von der sprachwissenschaftlichen Diskussion trennen. Die Ethnologie sagt hier, dass es wichtig ist, dass sich die Menschen selbst zuweisen, nämlich nach dem, das was man selbst von sich glaubt. Jeder Mensch hat das Recht, zu sagen „Ich bin Deutscher“, „Ich bin Türke“, „Ich bin Kurde“ oder „Ich bin ein Zaza“, denn das ist ein Menschenrecht.

Eine enge Verbindung zwischen Sprache und Volkszugehörigkeit sollte nicht weiter aufrecht erhalten bleiben, denn die Türkei ist ein Land mit vielen Völkern, Sprachen und Kulturen. Es ist wichtig diese Vielfalt als Reichtum zu sehen. In einer Türkei, welche sich schrittweise einem Europa nähert, sollten nationalistische Verbindungen zwischen Sprache und Volk, aufgebrochen und zumindest aufgeweicht werden.

Mir ist es ein Anliegen, dass diese Sprachen inklusive Kurmanci nicht untergehen. Die Frage ist, „Was ist die Basis und was ist wichtig, damit die Sprache langfristig gesehen überlebt?“ Die jüngeren Menschen sind die Basis. Sie leben in den Großstädten und sprechen andere Sprachen. In den Dörfern finden wir ältere Menschen, welche die Sprache zwar sprechen, aber diese sind nicht mehr jene, welche die Sprache weitergeben und damit für ihr Überleben aktiv beitragen.

Haben Sie eine Idee, was gemacht werden kann, damit ein Überleben stärker erstrebt werden kann?

Zwei Dinge sind wichtig, nämlich Freiheit und Respekt. Es muss jeder die Freiheit haben seine eigene Sprache zu sprechen. Es muss der Respekt da sein, dass jeder seinen eigenen Dialekt sprechen kann. Man kann auch versuchen Standardsprachen zu schaffen. Dies ist auch wichtig, aber die Standardsprache muss ein Gewinn sein. Sie darf nicht einschränkend sein. Sie muss etwas Zusätzliches sein, dass die Menschen sagen, „Ja, wir wollen diese Standardsprache auch, und möchten damit eine gemeinsame Schriftsprache haben“. Die Standardsprache darf nicht die Freiheit einschränken.

Wie stehen Sie grundsätzlich zur Standardisierung einer Sprache?

Die Standardisierung von Sprachen ist sehr kompliziert, kann sehr lange dauern und braucht viel politische Unterstützung. Sie sehen in der Geschichte, dass die Standardisierung des Deutschen im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit viele Jahrhunderte gedauert hat. Standardisierung kann man nicht von heute auf morgen schaffen und man kann sie nicht erzwingen. Man muss die Dialekte leben lassen. Mit der Zeit kann sich etwas entwickeln und dann kann diese Entwicklung politisch und auch finanziell unterstützt werden. Meiner Ansicht nach ist dieser Prozess nur dann möglich, wenn die Verschiedenheiten nicht als Gefahr, sondern als Reichtum gesehen werden können.

Ich hoffe sehr, dass die Zazas es schaffen, ihre Sprache zu pflegen, weiterzuentwickeln und zu bewahren. Ich hoffe es sehr, dass diese Entwicklung nicht gegen andere Völker passiert, auch nicht gegen die Kurden. Ich hoffe auch, dass andersrum die Kurden die Zazas respektieren. Ich glaube, dass Zazas und Kurden und auch die Türken sich alle zusammen in diesem Land bemühen müssen, diese Sprachen als Reichtum zu betrachten.

Ich danke Herrn Prof. Dr. Paul sehr für seine wertvolle Zeit und Interesse.